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Fortbildungscurriculum zu Amtshandlungen
durch Prädikantinnen und Prädikanten1#

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I. Vorüberlegungen

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Einbindung in die kirchlichen Strukturen

Amtshandlungen sind lebensbegleitende Rituale. Das Evangelium wird auf eine besondere Lebenssituation (einen Kasus) hin ausgelegt im Rahmen eines Rituals. Man könnte auch sagen: Menschen werden mit der Hilfe einer Schwellen-Liturgie auf einem biografischen Übergang christlich begleitet. Dies wird im Auftrag einer Gemeinde getan, die daran Anteil nimmt und dies dann auch beurkundet.
Deswegen gehört zur Durchführung einer Amtshandlung die Einbindung in die Strukturen der Kirchengemeinde. Absprache mit den Pastor*innen, Information im Kirchenbüro, Einbeziehung von Musiker*innen und Küster*innen. Schließlich die Verantwortung dafür, dass die Amtshandlungen durch eine entsprechende Urkunde und einen Eintrag in das Kirchenbuch festgehalten werden.
Es wird zu verabreden sein, auf welche Weise die Prädikant*innen zu Amtshandlungen kommen. Dabei bleibt es dabei, das jede Kasualie vor Übernahme durch eine Prädikantin oder einen Prädikanten die Zustimmung des dafür eigentlich zuständigen Pastors bzw. der dafür zuständigen Pastorin erfährt (vgl. § 8 Absatz 4 PrädG: „(4) Vor der Vornahme von Gottesdiensten mit Taufen, Trauungen und Bestattungen stellt die Prädikantin bzw. der Prädikant das Einvernehmen mit der zuständigen Pastorin oder mit dem zuständigen Pastor her). Dafür gibt es Dienstbesprechungen, und auch mit dem Kirchenbüro ist der Informationsaustausch abzusprechen.
Für viele Gemeindemitglieder sind Amtshandlungen wesentliche Kontaktpunkte zur Kirchengemeinde. In einer Umbruchs- und Schwellensituation sind viele Menschen verunsichert; zugleich gibt es besondere Erwartungen an das lebensbegleitende Handeln der Kirche und der Würdigung ihrer Lebenssituation. Der Kontakt zu den Gemeindemitgliedern und die Durchführung der Amtshandlungen verlangen also eine besondere Einfühlung und Sensibilität.
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Klarheit der Aufgabe

Die Durchführung von Amtshandlungen erfordert Zeit und bei Beerdigungen auch terminliche Flexibilität: für die Besuche und Gespräche bei den betroffenen Menschen, die liturgische Gestaltung der Amtshandlung, das Erarbeiten der Predigt als Verbindung des Evangeliums mit der besonderen Lebenssituation von Menschen.
Die Übernahme von Amtshandlungen braucht eine Sicherheit in den Kompetenzen, die zur Durchführung benötigt werden.
Die Prädikantin bzw. der Prädikant muss sich in der Rolle, die er bzw. sie dabei einnimmt, klar sein. Dazu gehört eine Klärung, ob man als Prädikantin bzw. Prädikant zur primären Aufgabe der Gottesdienstdienstgestaltung wirklich auch Amtshandlungen übernehmen möchte.
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Fortbildung zu Amtshandlungen in drei Dimensionen

Analog zu der Prädikant*innenausbildung sind auch hier in der Fortbildung drei Dimensionen oder Ebenen zu unterscheiden, die zusammenwirken sollen.
Zunächst ist da das Praxisfeld in der Kirchengemeinde. Gemeindepastor*innen lassen Prädikant*innen hospitieren bei Trauungen oder Beerdigungen und besprechen die Eindrücke mit ihnen. Es ist möglich, erste Trau- oder Beerdigungsgespräche gemeinsam zu führen und sich bei den ersten Schritten die Liturgie aufzuteilen. Hilfreich ist auch, dass die Prädikantinnen und Prädikanten Rückmeldungen zu ihren ersten Trauungen oder Beerdigungen bekommen.
Als in der Seelsorge Tätige brauchen sie zudem die Möglichkeit zur Supervision (in der Gruppe). Dafür sollen die Kirchenkreise Sorge tragen, indem sie zur Supervision geeignete Personen benennen und die Kosten tragen. Dies entspricht der Rolle der Begleiter*innen in der Prädikant*innenausbildung.
Schließlich gibt es die Fortbildung, die vor allem theologische und liturgische Reflexion bietet. Es geht nicht um ein rein technisches oder theoretisches Verstehen, deshalb gehen wir immer wieder von den eigenen Erfahrungen aus. Wir fragen dann danach, wie sich die Grunderfahrungen in Liturgie und Bibeltexten widerspiegeln. Und umgekehrt fragen wir auch danach, wie theologische Reflexion ein erhellendes und befreiendes Licht wirft auf biografische Erfahrungen und Familienkonstellationen. Immer wieder geht es darum, Wort und Situation zu verschränken und rituelle Gestaltung mit der Wahrnehmung der existentiellen, individuellen und auch gruppenspezifischen Dynamik zu verbinden. Man könnte auch sagen: Es geht darum, den Segen des dreieinigen Gottes hinein zu buchstabieren in einen krisenhaften Übergang.
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Fortbildung „Seelsorge“

Der Prädikantenausschuss hat darüber hinaus festgelegt, dass eine Fortbildung besucht werden muss, die Grundlegendes vermittelt zur seelsorglichen Dimension der Begegnung bei Amtshandlungsgesprächen. Das ist noch keine Seelsorgeausbildung, erschließt aber Einsichten, Fähigkeiten und Grundhaltungen des seelsorgerlichen Kontakts.
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II. Inhaltliche Entfaltung

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Erwartungen

Immer wieder wird gesagt, dass es für Beerdigungen eine besondere Sensibilität braucht, weil Menschen hier besonders verletzlich sind. Das stimmt, gilt aber sicherlich in einem gewissen Ausmaß auch für Trauungen und Taufen. Dabei gibt es dann zusätzlich auch unrealistische Erwartungen an „den schönsten Tag im Leben“ oder das „einmalige Erlebnis für den kostbarsten Menschen“. Es gibt Vorbilder aus außerkirchlichen Kontexten (Filme z. B.), mit denen sich die Verantwortlichen auseinanderzusetzen haben. Aus unserer Sicht hat sich dies so zu einer Besonderheit gegenüber anderen Gottesdienstformen entwickelt. Gleichwohl hat auch der „normale“ Gottesdienst viele seelsorgerliche Aspekte, die sich nicht prinzipiell von Kasualgottesdiensten unterscheiden.
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Theologie und Praxis des Segens

Bei aller Sorgfalt im Bedenken der seelsorglichen Aspekte kann man als Liturg*in und Predigende*r in einem Kasualgottesdienst darauf vertrauen, dass es letztlich um eine Theologie und vor allem um eine Praxis des Segens gehen wird. Das, was in Schmerz und Glück, im Trauern und Hoffen, in Liebe und Vermissen geschehen ist, das wird Gott hingehalten, damit es verwandelt und zum Guten gewendet werde. Im (krisenhaften) Übergang und damit an den Grenzen des Machbaren bleibt es einleuchtend und sinnstiftend, sich einer Segensgeste und einem Segenswort auszusetzen. Das ist immer noch konsensfähig weit über den Bereich traditioneller Kirchlichkeit hinaus und wird auch von kirchenfernen Skeptiker*innen und Agnostiker*innen häufig geteilt.
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Das Besondere schützen

Es gilt allerdings, diesen Moment des Segens zu schützen und zu bewahren vor verdinglichendem Zugriff und allzu pragmatischen Aspekten. Das ambivalente Verhältnis von darstellendem Handeln und wirksamen Handeln im Gottesdienst bleibt weiterhin zu beachten. Wichtig ist, Menschen ihre Rolle als beteiligte Zeug*innen deutlich zu machen und sie nicht nur in die Rolle von (applaudierenden oder disqualifizierenden) Zuschauern abgleiten zu lassen. Es gibt eine Tendenz, Trauungen und auch Taufen so zu inszenieren, dass sie – in Foto oder Film festgehalten – vor allem etwas darstellen, was über den Moment hinaus wirken soll auch auf nicht Beteiligte. Das degradiert letztlich fast alle zu Statisten für eine Kamera und wiederspricht dem Charakter des Gottesdienstes in seiner Spannung vom Handeln Gottes und Handeln des Menschen. Anderseits ist der Gottesdienst anlässlich eines Lebensübergangs für viele Menschen fast die einzige verbliebene Möglichkeit, sich auf die Präsenz Gottes in ihrem Leben auszurichten und das verletzliche und wunderbare Dasein dem liebenden Blick Gottes auszusetzen – und dies sollte nicht ungenutzt verstreichen. Dafür braucht es eine einladende und menschenfreundliche Grundhaltung.
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Tradition und Individualisierung

Zu bedenken ist ferner die Tendenz zur Individualisierung, die der Traditionsleitung in hergebrachten Ritualen zuwider läuft. Moderne nichtkirchliche Ritualdesigner versprechen dagegen häufig eine einmalige Gestaltung der Zeremonie für unverwechselbare Menschen und haben damit ein erfolgversprechendes Geschäftsmodell. Dabei wird nicht deutlich, dass es letztlich immer noch um eine Auswahl von medial vermittelten Grundmustern geht. Wer sich ein Lieblingslied wünscht, hat dies oft schon vorausgewählt bei youtube oder einem anderen Dienst gefunden. Wer Luftballons steigen lassen will oder Rosenblätter regnen, hat dies schon mal in einem Film gesehen. Unsere sogenannte „Individualität“ ist vorgeprägt durch gesellschaftliche (kommerzielle) Muster. Dabei ist festzuhalten, dass der Sinn eines Rituals ja darin besteht, dass es überindividuell von möglichst allen Beteiligten verstanden und geteilt wird. Und dass es Menschen im Ansturm von Gefühlen und Impulsen an einer Schwellensituation gerade davon entlastet will, hier etwas Besonderes leisten zu müssen. Das Besondere der Gnade soll hier weiterhelfen, die nicht originell sein muss, um zu wirken. So werden auch unsere kirchlichen Rituale immer wieder neu einen Weg suchen zwischen den (leicht überfordernden) Wünschen und der Tradition (von der viele Menschen entfremdet sind). Wichtig scheint es, hier nicht eine sanktionierende (erlaubende oder verbietende) Position einzunehmen, sondern eine vermittelnde, die Verständnis fördert.
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Verantwortlich handeln

In dieser Situation wird es um verantwortete Vielfalt gehen in der Gestaltung von Ansprachen und Liturgien zu Lebensübergängen. Dafür braucht es handelnde Personen, die ihre Lebens- und Glaubenserfahrung reflektiert haben, die kontaktfähig sind und gestaltungsfreudig. Es gilt dabei, weder konfluent zu verschmelzen mit den Gefühlen und Wünschen der unmittelbar Betroffenen – noch sich auf ein geschäftsmäßiges Abarbeiten nach richtig-falsch-Kriterien zurückzuziehen. Dann allerdings haben gerade die Gottesdienste an den Lebenswenden die Chance, Menschen neu zu berühren und für den christlichen Glauben zu erschließen.
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III. Konkretionen des Curriculums

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Fortbildung: Trauungen I

Einstieg: Liebesgedichte, Kurzfilme, Eigene Erfahrungen
Element 1
Warum trauen wir? Was ist das Wesentliche?
  • vier Grundschritte in der Trau-Liturgie
    Agende / „Dem Segen Raum geben“ / auch noch für eingetragene Partnerschaften
  • Aspekte von Traugesprächen (eigene Bilder der Paare – Sinn der Trauung)
  • Bibelworte / Lieder
Element 2
  • Gruppenarbeit: Gedanken zu Trauansprachen und Vorstellung der Gruppenarbeiten
  • Theologie der Trauung / des Segens
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Fortbildung: Trauungen II

Einstieg: Predigtbeispiel – Reverent Curry – eine Hochzeit im britischen Königshaus Paarübung: Kommunikation / vier Felder eines gestalttherapeutischen Zugangs
Element 1:
  • Durchgang durch die Geschichte:
    AT: Heilige Hochzeit Baal-Anat – Protest der Propheten Hosea & Co., Liebeslieder im Hohelied, Positive Einstellung zur Sexualität in der Schöpfung,
    NT: Die Zeit ist kurz – ein jeder bleibe in seinem Stande: 1. Kor. 7,24ff.
    Hochzeit als Bild für das Reich Gottes: Mt. 25,1ff., Mk. 2,19, Mt. 22,1ff., Lk. 12,35ff., Joh. 2,1ff.
  • Ökumene:
    die Eheleute spenden sich gegenseitig das Sakrament der Ehe
  • Lutherisch:
    ein weltlich Ding, aber gute Ordnung Gottes – Hauptsache: Segen!
  • Soziologie (z. B. Eva Illouz, Ulrich Beck + Elisabeth Beck – Gernsheim):
    Überforderung der Paarbeziehung – Entlastung der Partner durch den Bezug zur Liebe Gottes
Element 2: Werkstatt Liturgie
  • Der schönste Tag der Welt – große Erwartung und latente Enttäuschung
  • Offene Fragen, Formalia (z. B. nicht in der eigenen Familie trauen)
  • Abschluss: einander segnen
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Fortbildung: Beerdigungen I

Einstieg: eigene Erfahrungen mit Tod – Trauer – Beerdigung
Abendandacht mit Gedenken unserer Verstorbenen
Element 1:
  • Agende
  • Gruppenarbeit zu zweit oder dritt:
    Stichworte zu einer Biografie / Gedanken zu Bibelworten formulieren / Lieder aussuchen
Element 2:
  • Vorstellen der Gruppenarbeit
  • Theologie der Auferstehung
  • Abschlussandacht
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Fortbildung Beerdigungen II

Einstieg: Film – Die schönsten Beerdigungen der Welt
Element 1:
  • Trauergefühle/ -phasen
  • Gestaltaufstellung: Trauer betrifft ein System
Element 2:
  • Werkstatt Liturgie
  • Formalia, Zusammenspiel mit Bestatter und Familie, besondere Wünsche
  • Suizid, Kindstod
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Fortbildungsmodule „Seelsorge“

„Die seelsorgerliche Dimension in der Begegnung bei Vorgesprächen zu Amtshandlungen“
Modul 1:
Seelsorge: „Meiner selbst bewusst – in Kontakt mit dem anderen – vor Gott“
Element 1: Meiner selbst bewusst
  • Namensrunde, Erwartungen und Befürchtungen, Verabredungen
  • Was nehme ich in mir selbst wahr?
  • Teilen
  • Körperwahrnehmung
Element 2: in Kontakt mit dem anderen sein
  • Paare bilden; Tanz und Reflexion
    (Frage nach der Scham – asymetrische Beziehung in der Seelsorge)
  • Wie geht das: Beim anderen sein – und zugleich bei mir selbst? (Kontaktkurve erste Annäherung)
  • Übung: den richtigen Abstand / die richtige Zuwendung finden
  • Triaden:
    • eine/r bringt ein Anliegen mit mittlerer Relevanz
    • eine/r geht als SeelsorgerIn in Kontakt
    • eine/r nimmt wahr und gibt feedback
Element 3: vor Gott
  • Runde: wie und wo war Gott dabei?
    Vor / hinter / neben / über / unter… Vater / Mutter / Brunnen / Burg…
  • Metaphern / Symbol-Wort finden
  • Reflexion
  • Abendsegen
Modul 2: Kontaktzyklus
Erwartungen und Befürchtungen: „Was habt Ihr mitgebracht?“ Thema: Kontaktzyklus, Erinnerung: Schaubild Kontaktzyklus
Element 1: Vorkontakt
  • Zu zweit: Walk to talk, beginnend mit Gehen in der Stille (sich seiner selbst bewusst werden), dann jeder zehn Minuten Zeit, um gehört zu werden
  • Im Plenum: Reflektion zum Vorkontakt
    • das Thema (hinter dem gedachten Thema) kann sich herauskristallisieren,
    • Vertrauen entsteht (sich entspannen, sich anvertrauen)
Element 2: Kontaktanbahnung – Energie mobilisieren
  • Übung 1: Begleiten – führen – konfrontieren
  • Reflektion dazu
  • Triaden: Seelsorge zu einem Thema mittlerer Reichweite
Element 3: Kontakt: Das Andere annehmen / annehmen, dass ich angenommen bin
  • Reflektion: Habt Ihr das Modell des Kontaktzyklus wiedererkennen können?
  • Input: „Was ist, darf sein – und was sein darf, kann sich verändern“ – Paradox der Veränderung /
    Rechtfertigung – hier bezogen auf Kontaktunterbrechungen / wieder in den Fluss kommen
  • Beispielarbeit(en)
Element 4: Nachkontakt
  • Was nehme ich mit zum weiteren Verdauen?
Modul 3: Lebensübergänge begleiten
Erwartungen und Befürchtungen, „Was habt Ihr mitgebracht?“
Element 1:
  • Körper wecken und wahrnehmen
  • Stimme wecken und wahrnehmen
  • Stimmimprovisation: Solo – mit Begleitung – Duett – Wechsel: begleiten…
  • Reflektion
  • Geburt – Liebe – Tod
    Lebens-Übergänge rituell begleiten (mit Taufe, Trauung und Trauerfeier)
    „Rites de passage“: auf dem Schwellenraum mit drei Schritten
    Wer ist alles betroffen (bei Lebens-Übergängen)? Kärtchen auslegen
Element 2:
  • Aufstellung zu einem Familiensystem oder Gestaltarbeit / alternativ: walk to talk
  • Offene Fragen (Suizid, Grenzen)
Element 3:
  • Ritueller Spaziergang
  • Abschlussritual:
    „Durch die Gnade Gottes bist Du, was Du bist“
  • Rückmeldungen und Segen

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1 ↑ Red. Anm.: Das Fortbildungscurriculum wurde von der Ersten Kirchenleitung am 29./30. März 2019 als TOP 5.2 zustimmend zur Kenntnis genommen und gemäß § 2 Absatz 1 Satz 3 Prädikantengesetz als landeskirchlicher Ausbildungsplan festgelegt. Eine amtliche Bekanntmachung erfolgte bisher nicht.